Henriette Hirschfeld-Tiburtius

 

Henriette Hirschfeld-Tiburtius (* 14. Februar 1834 in Westerland auf Sylt, † 25. August 1911 in Berlin) war nach ihrem Studium in den USA die erste selbstständig praktizierende Zahnärztin in Deutschland.

Henriette Therese Friederike wird im Februar 1834 als drittes Kind der Pastorenfamilie Pagelsen auf der Insel Sylt geboren. Die Familie zieht nach Schleswig-Holstein, und die gerade mal 19-jährige Henriette wird mit einem Gutsbesitzer, dem 30-jährigen Christian Hirschfeld, verheiratet.

Die zunehmende Trunksucht ihres Mannes und schließlich die Verschuldung des Hofes lassen die Ehe scheitern, und Henriette geht nach der Scheidung völlig mittellos zu einer Freundin nach Berlin.

Sie verdient ihr eigenes Geld als Gesellschafterin, doch diese Stellung sagt ihr nicht zu. Sie erinnert sich an ihre Kindertage, an denen sie häufig von Zahnschmerzen geplagt wurde, und verfolgt nun voller Tatendrang ihren lang gehegten Traum, Zahnärztin zu werden.

In Deutschland kann sie ihr Vorhaben zu ihrer Zeit nicht umsetzen, Frauen ist noch immer der Zugang zur Universität verwehrt.

Die junge alleinstehende Frau entschließt sich daher 1867 zu einer Überfahrt von Hamburg nach New York und reist weiter nach Philadelphia. Dank mehrerer Fürsprecher und beharrlicher Hausbesuche bei den Fakultätsmitgliedern gelingt ihr die Aufnahme an das Pennsylvania College of Dental Surgery, und sie wird als zweite Frau in den USA zum Studium der Zahnmedizin zugelassen.

Im Februar 1869 schließt sie ihr Studium im Alter von 35 Jahren mit dem Titel Doctor of Dental Surgery ab. Trotz Stellenangebot in den USA kehrt sie nach Deutschland zurück und eröffnet in der Behrenstraße in Berlins Mitte als erste Frau ihr Atelier für Zahnbehandlung.

Anfangs behandelt sie nur Frauen und Kinder, was den damaligen Vorstellungen des Bürgertums entspricht. Die Praxis läuft über ihre Erwartungen gut und bringt Henriette einen exzellenten Ruf ein. Dieser wird durch ihre Ernennung zur Hofärztin der Kronprinzessin Victoria bestätigt.

Im Jahr 1872 heiratet sie 38-jährig ihren langjährigen Freund, den Militärarzt a. D. Karl Tiburtius. Das Paar bekommt zwei Söhne, aber auch als Mutter gibt sie ihre Berufstätigkeit nicht auf. Sie engagiert sich für sozial Schwache und gründet gemeinsam mit ihrer Schwägerin Franziska Tiburtius und deren Kollegin Emilie Lehmus 1876 die erste von Frauen geleitete Poliklinik. Nach fünf Jahren Erfolgsbilanz folgt die Gründung einer Pflegestation speziell für Frauen und Kinder in ihrer alten Wohnung in der Friedrichstraße.

Die Tiburtius zieht sich nach 30-jähriger Praxis auf ihren Altersruhesitz zurück und stirbt nach kurzer Krankheit im August 1911 in Berlin-Marienfelde.

Seit 1998 erinnert am Standort ihrer Praxis in der Behrenstraße eine Gedenktafel an Henriette Hirschfeld-Tiburtius.