Straßennamen

Gertrud Kolmar

 

Gertrud Kolmar (* 10. Dezember 1894 in Berlin; † vermutl. Anfang März 1943 in Auschwitz), Lyrikerin und Schriftstellerin

Die Gertrud-Kolmar-Straße verläuft nordsüdwärts und ist die Verlängerung der Cora-Berliner-Straße, die − nach einer im Holocaust ermordeten Jüdin benannt − in unmittelbarer Nähe des Holocaust-Mahnmals entstand. Sie verbindet die Hannah-Arendt-Straße mit der Voßstraße. Vor dem Fall der Mauer verlief hier der „Todesstreifen“. Die Straße wurde 2001 nach der bedeutenden Lyrikerin benannt.

Die jüdische Dichterin kommt am 10. Dezember 1894 als Gertrud Käthe Chodziesner in Berlin zur Welt. Ihr Pseudonym Kolmar legt sie sich erst 1917 zu. Es leitet sich von dem Ort Chodziez in der damaligen preußischen Provinz Posen ab, der 1878 in „Kolmar in Posen“ umbenannt wurde. Von dort stammten auch die Vorfahren ihres Vaters.

Gertrud wächst im Charlottenburger Villenvorort Westend auf. Sie ist die Älteste von vier Kindern des der Monarchie treu ergebenen Strafverteidigers und späteren Justizrates Ludwig Chodziesner und seiner Frau Elise. Ein Cousin von ihr ist Walter Benjamin, der, als Philosoph, Übersetzer und Literaturkritiker tätig, ihr Werk sehr schätzt. Nach der Schulzeit, zwischen 1911 und 1928, unternimmt Gertrud Kolmar mehrere Ausbildungs- und Studienreisen, erwirbt in Berlin ihr Diplom für Sprachlehrerinnen in Englisch und Französisch, lernt Russisch autodidaktisch und arbeitet ab 1919 als Erzieherin in Berlin, Hamburg und Dijon.

Als sie 1915 oder 1916 im Gefangenenlager Döberitz als Dolmetscherin arbeitet, lernt sie den Offizier Karl Jodel kennen. Die Beziehung endet mit der Trennung und auf Drängen der Eltern mit der Abtreibung des gemeinsamen Kindes. Diese Geschehnisse kann die junge Frau schwer verkraften. Sie beeinflussen ihr weiteres literarisches Werk.

1917 erscheint ihr erster Band „Gedichte“ unter dem Pseudonym Gertrud Kolmar. 1921 zieht die Familie Chodziesner in die Berliner Innenstadt und 1923 nach Falkensee bei Spandau in die Villenkolonie Finkenkrug. 1928 geht Gertrud Kolmar zurück zu ihren Eltern, um deren Haushalt wegen einer schweren Erkrankung der Mutter − sie stirbt zwei Jahre später − zu führen.

Nach einem Notariatskurs arbeitet sie als Sekretärin ihres Vaters. Ende der 1920-er Jahre erscheinen einzelne ihrer Gedichte in literarischen Zeitschriften und Anthologien. Zwischen 1930 und 31 schreibt Gertrud Kolmar ihren einzigen Roman, „Die jüdische Mutter“, der erst 1965 publiziert wurde.

In derselben Zeit lernt sie Karl Joseph Keller kennen, eine Liebe, die für sie auch unglücklich endet. 1934 bringt der Verlag „Die Rabenpresse“ von Victor Otto Stomp ihren zweiten Gedichtband „Preußische Wappen“ heraus. Diese Publikation bringt den Verlag auf eine Liste unerwünschter Verlage des Börsenvereins des deutschen Buchhandels.

Ihr dritter Gedichtband, „Die Frau und die Tiere“, der im August 1938 in einem jüdischen Verlag erscheint, wird nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 eingestampft. Aufgrund der verschärften Judenverfolgung müssen Gertrud Kolmar und ihr Vater 1938 das Haus in Finkenkrug aufgeben und in ein so genanntes Judenhaus in Berlin-Schöneberg umziehen.

Die Lyrikerin empfindet sich dort als fremd und muss mit immer mehr unbekannten Menschen auf immer weniger Raum zusammenleben. Warum Gertrud Kolmar nicht emigriert, wie ihre übrigen Angehörigen, lässt sich mit ihrer Demut und dem Pflichtgefühl und der Treue zum gebrechlichen Vater erklären. Ab 1941 wird sie zu Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie herangezogen. Ihr Vater wird im September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und im Februar 1943 dort ermordet. Sie selbst wird am 27. Februar 1943 im Verlauf der so genannten Fabrikaktion verhaftet und am 3. März 1943 im 32. so genannten Osttransport ins KZ Auschwitz deportiert.

Nachdem die arbeitsfähigen Menschen aussortiert sind, werden die übrigen, darunter Gertrud Kolmar, vermutlich sofort in den Gaskammern getötet.

Gertrud Kolmar nennt sich selbst immer wieder „Die Fremde“, „Die Andere“ oder „Die Einsame“. So zeigt auch ihr lyrisches Werk eine Zuneigung zu den „Rand- und Leidfiguren“; in Gedichten wie „Die Landstreicherin“, „Die Irre“, „Die Hässliche“ oder „Die Kinderdiebin“ wird dies deutlich. Was über die Dichterin bekannt ist, entstammt vor allem den Briefen an ihre jüngste Schwester Hilde, die sie zwischen 1938 bis zu ihrer Deportation schreibt.

Zu ihrer Lebzeit wurde nicht viel von ihren Werken veröffentlicht, aber mittlerweile wird sie zu den bedeutenden deutschsprachigen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gezählt. Ihre mystische Natur- und Liebeslyrik ist immer noch – trotz Veröffentlichung ihres Gesamtwerkes 1955 – weitgehend unbekannt.