Straßennamen

Thusnelda

 

Thusnelda (* um 10 v. u. Z.; † nach dem 26. Mai 17), Tochter eines germanischen, römerfreundlichen Adligen

Thusnelda-Allee, kurze Verbindungsstraße zwischen Turmstraße und Alt-Moabit am Ottopark in Moabit

 

Als Berlin im Jahre 1892 der Straße den Namen verleiht, ist Kaiser Wilhelm II. seit drei Jahren im Amt. Er ist, wenn man von den 99 Tagen Regierungszeit seines kehlkopfkrebskranken Vaters, Friedrich III., absieht, der zweite deutsche Kaiser nach dem Sieg über die Franzosen 1871 und der deutschen Reichsgründung.

Siegestaumel, Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles, die Revanche für die Niederlage gegen Napoleon sind gerade 20 Jahre alt, und der deutsche Nationalismus sucht sich auch in Mythen und Legenden zu legitimieren.

Nichts scheint näher zu liegen, als eine Kontinuität der siegreichen germanischen Geschichte zu betonen und das „Waterloo“ der Römer in der Varusschlacht um 9 der Kapitulation der Franzosen am 28. Januar 1871 gegenüberzustellen. Dazu passt auch die Benennung der damals kürzesten Allee Berlins nach der Gattin des aufständischen Cheruskers Arminius, der die Germanen in der so genannten Hermannschlacht siegreich gegen die Römer führte. Nach römischen Quellen soll Arminius Thusnelda, die Tochter des römerfreundlichen Gaugrafen Segestes ca. vier Jahre nach der erfolgreichen Schlacht entführt haben. Doch Segestes, der es anders als Arminius mit den Römern hielt, hatte einen anderen als Bräutigam für seine Tochter vorgesehen. Außerdem ergrimmten den verprellten Vater auch die angeblich ausbleibenden Brautgeschenke. Deshalb soll Segestes seine widerborstige Tochter zurückgeholt und danach wütend den Römern ausgeliefert haben. Thusnelda war Arminius, so heißt es, jedoch aus Liebe gefolgt und hatte inzwischen einen dreijährigen Sohn namens Thumelicus.

Beide führte nun der römische Feldherr Germanicus nebst anderen germanischen Gefangenen in einem Triumphzug in Rom zu eigenem Ruhm vor. Die anschließende rituelle Tötung blieb Mutter und Sohn erspart. Thusnelda und ihr Sohn kamen im Jahre 17 als edle Gefangene nach Ravenna. Danach verliert sich ihre Spur.

Thusnelda fand im 19. Jahrhundert als Kunstfigur Eingang in die deutsche Dichtung und einige Zeit später als „Tussi“ respektfreie Verwendung in der Alltagssprache. Der deutsche Dichter Heinrich von Kleist, der sich 1811 gemeinsam mit einer Freundin am Kleinen Wannsee tötete, schrieb vor seinem Tod das Drama „Die Hermannschlacht“. Das Stück wurde 1821 postum veröffentlicht und erst ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Autors in Breslau uraufgeführt. Es fand später als Pflichtlektüre Eingang in die deutschen Schulbücher.

Kleist, der in seinem Drama die Figur der Thusnelda dem gängigen Zeitgeschmack anzupassen suchte, machte aus Thusnelda eine spröde Schöne. Es nimmt sicher nicht Wunder, dass als Reaktion auf die ideologische Überflutung aus der stolzen, mutigen Germanenbraut Thusnelda, der römische Geschichtsschreiber Robustheit nicht nur in Trinkgewohnheiten nachsagten, der Volksmund eine zickige Tussi kreierte.