Margarethe von Witzleben

 

Margarethe von Witzleben (* 1853 in Kitzscher/Sachsen, † 1917 in Berlin) war die Begründerin der ersten Schwerhörigen-Selbsthilfe-Bewegung in Deutschland.

Margarethe, Spross eines thüringischen Adelsgeschlechts, wächst wohlbehütet und glücklich zusammen mit ihren Geschwistern auf dem elterlichen Rittergut Kitzscher in Sachsen auf.

Ab dem 12. Lebensjahr fällt dem christlich erzogenen Mädchen auf, dass die Kirchenglocken zunehmend leiser und verändert klingen, die schleichende Abnahme ihres Hörvermögens begleitet von nun an Margarethes Alltag. Die Eltern ersuchen den damals berühmten Ohrenarzt Anton Friedrich von Tröltsch um medizinische Hilfe, leider erfolglos. Auch der pietistische Pfarrer Johann Christoph Blumhardt, bekannt für wundersame Heilungen durch Handauflegen, ist machtlos. Da selbst Gott nicht hilft, bekommt die Schwerhörigheit für die heranwachsende Margarethe einen ganz andere Bedeutung auf ihrem weiteren Lebensweg.

Sie beginnt sich von ihrer Familie zu lösen und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand. Ihre Tätigkeiten sind vielfältig und unterschiedlich, sind vor allem für ihre geistige Entwicklung allesamt förderlich. Sie ist Helferin beim Kindergottesdienst, arbeitet in einer Bibliothek, hilft in einem Frauenverein bei der Leitung eines Erholungsheims für Arbeiterinnen. Schließlich beteiligt sie sich maßgeblich am Aufbau einer Haushaltungsschule und veröffentlicht 1898 einen Leitfaden der Haushaltungslehre. Nachdem sie ihre Lehrtätigkeit wegen der fortschreitenden Schwerhörigkeit aufgeben muss, widmet sie sich nur noch den Belangen schwerhöriger und ertaubter Menschen, verfasst Schriften und schreibt Bücher.

Erstmalig gelingt ihr zu Pfingsten 1901 in ihrer Wohnung in der Tieckstraße in Mitte die Zusammenführung einer Gruppe Schwerhöriger, die zunächst einen religiösen Hintergrund hat und aus der später der Hephata-Verein hervorgeht. „Hephata“ (Öffne dich!), spricht Jesus, während er einen Mann heilt, der taub und stumm ist. Bei diesem Treffen begründet Margarethe von Witzleben die erste Schwerhörigen-Selbsthilfe-Bewegung in Deutschland, ja sogar in der Welt.

Und das zu einer Zeit, als Behinderten-Selbsthilfe, noch dazu von einer Frau organisiert, ganz und gar nicht selbstverständlich ist. Sie gibt die Zeitung „Hephata“ heraus, thematisiert die Schwerhörigkeit als eine nicht sichtbare Behinderung und formuliert Wege und Möglichkeiten für die Betroffenen, aus der Isolation herauszukommen. Sie engagiert sich für Bildung und setzt sich für eine behindertengerechte Beschulung schwerhöriger Kinder und auch weiterführende Schulen ein. Um die Lebensumstände Hörgeschädigter zu verbessern, erstreckt sich Margarethes Tätigkeit auf immer mehr Gebiete. Sie organisiert Kurse für Kinder und Jugendliche, kümmert sich um die Weiterbildung Erwachsener und verhilft Bedürftigen zu Erholungsaufenthalten. Dazu kommt noch ihre umfangreiche Korrespondenz mit Ratsuchenden und diversen Instanzen, jährlich verfasst sie etwa 3.000 Briefe. Trotz aller gesellschaftlichen Widerstände baut sie ein aktives Leben in der Gemeinschaft Schwerhöriger auf.

Bereits 1914 schließen sich in Deutschland sechs Vereine und zwanzig Gemeinden zum Hephata-Bund zusammen.

Als Margarethe von Witzleben am 1. Februar 1917 nach kurzer schwerer Krankheit stirbt, hat sich die Selbsthilfe der Schwerhörigen in Deutschland schon fest etabliert. Sie hinterlässt dem Verein in ihrem Testament eine beträchtliche Summe, die als Grundstock für den Erwerb einer Heimstatt für alle Betroffenen dienen soll. Im Witzleben-Haus in der Sophie-Charlotten-Straße hat der Schwerhörigen-Verein Berlin e. V. heute seinen Sitz. Dort und an ihrem Wohnhaus in der Tieckstraße 17 in Berlin-Mitte erinnern Gedenktafeln an diese großartige Frau. Ihre Grabstätte auf dem Friedhof Berlin-Wilmersdorf wurde vom Senat von Berlin zum Ehrengrab erhoben.