Hilde Benjamin

 

Hilde Benjamin, geb. Lange (* 05. Februar 1902 in Bernburg/Saale, † 18. April 1989 in Berlin), erste Justizministerin der DDR und weltweit, Vorsitzende Richterin einer Reihe von politischen Schauprozessen der 50er Jahre

Die später sehr umstrittene Justizministerin wird in Bernburg an der Saale als Tochter einer gutbürgerlichen Familie geboren. Ihr Vater, Walter Lange, bekleidet in den Solvay-Werken eine angesehene Position als Prokurist. Als Richterin wird Hilde fast 50 Jahre später an der ehemaligen Wirkungsstätte ihres Vaters mit 10 Leitern der Solvay-Werke gnadenlos abrechnen. Die Männer sind der Sabotage und Schieberei beschuldigt. Für die ehemaligen Kollegen ihres Vaters erwirkt sie insgesamt 99 Jahre Zuchthaus.

In Berlin wächst Hilde auf und besucht in Steglitz das Lyzeum. Nach dem Abitur studiert sie 1921 bis 1924 Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und Heidelberg. Nach Abschluss ihres Referendar-Examens 1924 und des Assessor-Examens 1927 ist sie von 1928 bis 1933 Rechtsanwältin in Berlin-Wedding.

1926 heiratet sie Dr. Georg Benjamin, den Bruder des Schriftstellers und Philosophen Walter Benjamin. Zusammen arbeiten sie für die KPD. Hier setzt sie sich mit voller Energie ein und unterwirft sich bedingungslos ein Leben lang der Parteidisziplin. Sie verteidigt als junge Anwältin oft politisch verfolgte Genossen und unterstützt auch ihren Mann bei seiner Parteiarbeit. So verteidigt sie zum Beispiel eine Beklagte im Mordfall Horst Wessel (1907-1930).

1932 wird ihr Sohn Michael geboren, kurz danach wird ihr Mann für acht Monate in „Schutzhaft“ genommen. Bis zum Berufsverbot 1933 ist Hilde Benjamin als Anwältin tätig. Danach verdient sie den Lebensunterhalt u. a. als juristische Beraterin der sowjetischen Handelsgesellschaft. Von 1939 bis 1945 wird sie in der Konfektionsindustrie als Angestellte dienstverpflichtet.

1936 wird Georg Benjamin erneut als Jude und Kommunist zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt und stirbt 1942 nach sechs Jahren Haft im KZ Mauthausen. Die Totenliste des Lagers gibt als Ursache „Freitod durch Starkstrom“ an .

1940 begeht Hildes Schwager Walter auf der Flucht aus dem besetzten Frankreich Selbstmord.

In den Jahren der Inhaftierung ihres Mannes kümmert sich Hilde um die Entwicklung und Erziehung ihres Sohnes. Michael wird als Halbjude der Besuch des Gymnasiums verweigert, und seine Mutter übernimmt den Unterricht. Michael macht 1948 mit sechzehn Jahren ein hervorragendes Abitur. Zusätzlich hilft sie jüdischen Mitmenschen, z. B. Frauen von Häftlingen, die sonst wenig Unterstützung bekommen.

Nach dem zweiten Weltkrieg betätigt sie sich in der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz. Sie tritt 1946 der SED bei und ist von 1949 bis 1953 Vizepräsident des Obersten Gerichts der DDR. Während dieser Zeit verhängt sie in 13 großen politischen Prozessen 5-mal lebenslänglich und rund 550 Jahre Zuchthaus, gegen Mitglieder der aus West-Berlin dirigierten „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ zweimal die Todesstrafe. In der DDR wird sie auch als „Rote Guillotine“, „Bluthilde" oder „Rote Hilde“ bezeichnet.

Durch ihre harten Urteile macht sich Hilde Benjamin viele Feinde. Ihre Wohnung in der Prenzlauer Allee 172, die sie mit ihrem Sohn Michael bewohnt, wird daher von zwei Leibwächtern ständig bewacht.

Seit 1948 ist sie Mitbegründerin des Bundesvorstandes des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands und Leiterin der Juristinnenkommission. Hier fördert sie insbesondere die Ausbildung von faschistisch unbelasteten Laien zu Volksrichtern und Staatsanwälten.

Von 1949 bis 1967 ist sie Abgeordnete der Volkskammer und 1954 bis 1989 Mitglied des Zentralkomitees der SED. 1952 wird sie von der Humboldt-Universität zum Ehrendoktor ernannt.

Ab Juli 1953 ist sie als Nachfolgerin von Max Fechner Ministerin der Justiz.

Als Leiterin der Gesetzgebungskommission befasst sich Benjamin maßgeblich mit der Anpassung des Jugendgerichtsgesetzes, des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung an eine kommunistisch orientierte Rechtslehre.

Die ersten Gesetze für Familienpolitik von 1965 gehen auf Hilde Benjamin zurück. Sie setzt sich ein für die Straflosigkeit homosexueller Beziehungen sowie die Abschaffung des Abtreibungsverbotes. Auch fordert sie die Gleichstellung nicht ehelicher Kinder, das Scheidungs- und Namengesetz zu reformieren und die Berufstätigkeit der Frau zu fördern. Hierfür wird sie sogar in der BRD gewürdigt.

Walter Ulbricht drängt die Stalinistin Hilde Benjamin 1967 zum Rücktritt „aus gesundheitlichen Gründen“, vermutlich jedoch hätte sie einer von Ulbricht geplanten Annäherung beider deutscher Staaten im Wege gestanden. Somit schied eine Fortsetzung ihrer Laufbahn als Richterin aus. Allerdings kann sie ihre juristische Karriere als Staatsrechtlerin in der DDR bis zu ihrem Tode fortsetzen.

1967 übernimmt sie den Lehrstuhl für „Geschichte der Rechtspflege“ als Professorin an der Deutschen Akademie für Staats-und Rechtswissenschaft in Potsdam-Babelsberg, den sie bis zu ihrem Tod bekleidet. Hier erscheint 1976 bis 1986 unter ihrer Federführung eine dreibändige „Geschichte der Rechtspflege der DDR“. Auch eine von ihr verfasste Biografie ihres verstorbenen Mannes mit dem Titel „Georg Benjamin“ wird 1978 publiziert.

Hilde Benjamin verstirbt ein halbes Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer an den Folgen eines Sturzes nach einer Routineuntersuchung. Ihre Urne wird auf der Gedenkstätte der Sozialisten des Zentralfriedhofs Friedrichsfelde mit einem Staatsbegräbnis beigesetzt.

Hilde Benjamin erhielt viele Auszeichnungen: 1962 den Vaterländischen Verdienstorden in Gold, 1967 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Bernburg, 1972 die Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden, 1977 und 1987 den Karl-Marx Orden, 1982 den Stern der Völkerfreundschaft, 1979 wurde sie verdiente Juristin der DDR.

Ihr Sohn Michael fungiert bis zu seinem Tod im Jahr 2000 als Sprecher der kommunistischen Plattform in der PDS.