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Franziska Vu

 

Dr. Matthias Bath

Geboren 1956 in Westberlin. Arbeitet heute als Staatsanwalt in Berlin. Als er zwanzig Jahre alt war, wurde er von einem hochrangigen Funktionär der Jungen Union gefragt, ob er drei Menschen über die Grenze in den Westen bringen würde. Für seine Hilfe wurde er als Westbürger zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Wieso hat man gerade Sie um Hilfe gebeten?
Ich war in den 70er Jahren in der Jungen Union engagiert und der Funktionär stammte aus Dresden und war 1965 in den Westen geflüchtet. Bis 1990 gab es zusätzlich zu den Kreisverbänden der Jungen Union für die West-Berliner Stadtbezirke einen Kreisverband „Arbeitsgemeinschaft Ostsektor“ für die acht Ost-Berliner Stadtbezirke. Hier waren vor allem Flüchtlinge, freigekaufte Häftlinge und Übersiedler aus Ost-Berlin Mitglieder. Mein Auftraggeber war damals Vorsitzender von dieser Ostsektorarbeitsgemeinschaft.

Warum wurden Sie inhaftiert?
Wegen Fluchthilfe. Ich habe versucht, drei Menschen aus der DDR zu holen. Ich habe die Fahrt nicht selbst organisiert, diese aber übernommen. Ich bin von jemandem angesprochen worden, dem ich Vertrauen geschenkt habe, der selber aus der DDR geflüchtet war. So habe ich mich bereit erklärt, Leute, im Kofferraum versteckt, aus der DDR zu schmuggeln.

Wurden Sie verraten?
Ich habe lange Zeit gedacht, dass da Verrat im Spiel sei. Aber inzwischen weiß ich aus meinen Stasiunterlagen, dass dem nicht so war. Das Fahrzeug hatte eine verstärkte Heckfederung. Auf diese Weise sollte abgesichert werden, dass das Fahrzeug nicht durchhängt, wenn Leute darin liegen. Und diese Heckfederung war so gut verstärkt, dass das Fahrzeug etwas zu hoch stand. Das ist bei der Einreise aufgefallen.

Was passierte dann mit Ihnen?
Ich wurde in Marienborn aufgefordert, den Kofferraum zu öffnen, dann wurden die Flüchtlinge entdeckt. Wir wurden für festgenommen erklärt. Dann fand eine Vernehmung in dem Kontrollpunkt statt, die die ganze Nacht dauerte. Ich habe zunächst keine Angaben gemacht, aber dann hat man mir später die Frau aus dem Kofferraum gegenüber gestellt, und die hat dann in meinem Beisein ausgesagt. Jetzt wusste ich, dass ich zumindest zu meinem Auftraggeber und der Vorgeschichte Angaben machen kann, weil das nun bekannt war.

Hat man Sie dann nach Berlin-Hohenschönhausen gebracht?
Ja, und zwar sollte ich zunächst nach Magdeburg gebracht werden, weil Marienborn zum Bezirk Magdeburg gehörte. Die ersten Vernehmer kamen auch aus Magdeburg. Aber dann stellte sich heraus, dass mein Auftraggeber in Hohenschönhausen zentral bearbeitet wurde vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Aufgrund der zentralen Bearbeitung wurden alle Leute, die praktisch durch meinen Auftraggeber festgenommen wurden, hier nach Hohenschönhausen gebracht, dem zentralen Sitz des Untersuchungsorgans der Staatssicherheit. Aber man hat mir nicht gesagt, wo ich hingebracht werde. Wir wurden vielmehr in einem geschlossenen Kleintransporter, der als Gefangenenfahrzeug eingerichtet war, befördert. Das war, was die Größe angeht, mit einem VW-Bus zu vergleichen. In diesem Fahrzeug sind hinten auf der Ladefläche fünf Transportzellen eingerichtet für jeweils eine Person. Unter sehr beengten Verhältnissen kann man sitzen und man kann nicht rausgucken. Das Fahrzeug ist geschlossen. Und in dieses geschlossene Fahrzeug musste ich in Marienborn einsteigen, und in der hell erleuchteten Garage in Hohenschönhausen bin ich wieder ausgestiegen.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie im Transporter waren?
Verzweifelt war ich schon in dem Moment, wo es hieß, dass ich den Kofferraum aufmachen soll. Und in dem Transporter habe ich erstmal gedacht, das ist ja unmöglich, dass man unter solchen Bedingungen transportiert werden kann. Das war äußerst beengt. Ich passte gerade mit meinen Schultern in die Zelle. Außerdem war ich noch mit einer Handschelle gefesselt. Ich fand das schrecklich.

Wie oft wurden Sie verhört?
Ich bin am Anfang täglich vernommen worden, später vielleicht zweimal die Woche. Es gab auch eine Phase, etwa nach zwei Monaten Untersuchungshaft, da wurde ein Monat Vernehmungspause eingelegt. Dieser Unterbrechung folgten weitere Vernehmungen. Anschließend wurde mir mitgeteilt, die Vernehmungen seien abgeschlossen. Das war im Juli 1976.

Wie lange waren Sie in Hohenschönhausen?
Ich war vom April bis August 1976 hier. Dann bin ich nach Frankfurt/Oder gebracht worden. Das dortige Bezirksgericht hat mich zu fünf Jahren Haft verurteilt. Anschließend war ich vier Wochen von September bis Oktober in Hohenschönhausen und bin dann in den Strafvollzug nach Berlin-Rummelsburg gekommen.

Wie sind Sie entlassen worden?
Ich habe fünf Jahre bekommen. Üblicherweise hätte ich nach vielleicht einem Drittel oder der Hälfte der Gesamtstrafe freigekauft werden müssen. Das klappte aber in meinem Fall nicht. Ich bin im Wege eines Austauschs im Sommer 1979 freigekommen, und zwar bin ich in Rummelsburg abgeholt worden vom MfS. Die Stasi hat mich nach Lichtenberg gebracht, wo es ja in der Magdalenenstraße auch ein Untersuchungsgefängnis gab. Dort wurde mir mitgeteilt, dass ich vorzeitig entlassen werde. Von Lichtenberg bin ich in das Büro des Rechtsanwalts Wolfgang Vogel gebracht worden. Das war am 19. Juli 1979. Die Frau von Rechtsanwalt Vogel hat mich dann nach Westberlin gefahren ins Rechtsanwaltsbüro Stange. Und dort bin ich quasi dem Vertreter der Bundesregierung übergeben worden. Dann war ich wieder im Westen.

Wie verarbeiten Sie diese Erlebnisse?
Es ist ja schon sehr lange her. Wir reden ja im Grunde über Dinge, die ungefähr dreißig Jahre zurückliegen. Der größte Teil meines Lebens liegt nach der Haft. Da ist natürlich auch viel passiert. Die Ereignisse schrumpfen natürlich nicht auf Null, aber sie verlieren auch diese ganz große Bedeutung, die sie nach meiner Entlassung hatten. Als ich entlassen wurde, war ich 23 Jahre, und da glaubte ich, das war das wichtigste Ereignis deines Lebens. Inzwischen ist es eines unter vielen. Ich habe ein Buch über die Haftzeit geschrieben. Das hat mir vielleicht auch geholfen, die Dinge zu verarbeiten.

Konnten Sie während der Inhaftierung Kontakt mit Ihrer Familie aufnehmen?
Die DDR hat den Westberliner Behörden meine Festnahme mitgeteilt. So erfuhren meine Eltern, dass ich in der DDR inhaftiert bin. Es gab ja dann diese Rechts-anwälte, die mit dem Ostberliner Rechtsanwalt Vogel in Verbindung standen. Über diese Rechtanwälte wurde dann arrangiert, dass ich auch Besuch von meinen Eltern bekommen konnte. Meine Eltern konnten mich Ende Mai 1976 das erste Mal besuchen. Die Besuche fanden allerdings nicht in Hohenschönhausen statt, man wurde dann immer in die Magdalenenstraße nach Lichtenberg gefahren. Später bekam ich dann alle 2 bis 3 Monate Besuch.

Was empfinden Sie für die Menschen, die Ihnen das angetan haben?
Die haben ihren Job für die falsche Sache gemacht. Ich hätte das an ihrer Stelle nicht getan. Insofern empfinde ich natürlich keinerlei Sympathie für sie, aber auch keine große Antipathie. Sie sind mir gleichgültig.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Menschen zu so etwas fähig sind?
Sie dachten wohl, sie tun ihrem Staat etwas Gutes oder ihr Staat würde es Wert sein, dass man sich so verhält. Natürlich war die ständige Abwanderung von Menschen für die DDR ein existentielles Problem. Wer den Staat DDR bejahte, war wohl auch bereit, mit militanten Methoden etwas für die DDR zu tun. Das war ihre Einstellung, dass sie ihren Staat schützen und Gegner ihres Staates – und ich war natürlich ein Gegner – bekämpfen wollten.

Haben Sie noch Kontakt zu den Leuten, denen Sie durch die Flucht helfen wollten?
Nein. Es war ein junger Mann und eine Frau mit Kind. Ich dachte, es wäre ein zusammengehörendes Paar mit Kind. Später erfuhr ich, dass die Frau zum Vater des Kindes wollte, der war in Westberlin und quasi der Auftraggeber der Geschichte. Der junge Mann wollte studieren, was ihm in der DDR verwehrt worden war. Sein Bruder, der schon vorher in den Westen geflohen war, war der Auftraggeber. Der junge Mann hat sich über die Rechtsanwälte nach meiner Freilassung bei mir gemeldet. Den habe ich kennen gelernt, doch war er durch die Haft ziemlich traumatisiert. Obwohl er wesentlich kürzer inhaftiert war als ich. Er war zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt und 1977 freigekauft worden. Ich war vielleicht nicht so traumatisiert, aber doch so empfindlich, dass ich mit jemandem, der so ein Hafttrauma hatte, nicht viel zu tun haben wollte. Irgendwie war mir die Sache unheimlich, dass jemand quasi unter Verfolgungsängsten leidet. Die Frau hat sich nicht gemeldet, aber ein Mitarbeiter der Ständigen Vertretung hat mir erzählt, dass sie 1978 freigekauft wurde. Was aus dem Kind geworden ist, weiß ich nicht.

Finden Sie es schade, dass Sie von der Frau nichts gehört haben?
Ich hätte mich gefreut, wenn ich mal was von ihr gehört hätte. Aber erwarten konnte man es nicht. Wir kannten uns ja nicht. Also eigentlich habe ich die Fluchthilfe unter falschen Voraussetzungen gemacht. Ich bin davon ausgegangen, das sind Freunde und Bekannte meines Auftraggebers und ich hole eine Familie. Später habe ich erfahren, das sind gar keine Freunde und Bekannte. Er hat halt Aufträge gekriegt, Leute rauszuholen, die er auch nicht kannte. Diese Leute kannten sich auch untereinander nicht. Also es stimmte alles hinten und vorne nicht. Da kann man nicht erwarten, dass die Frau besonderes Interesse an dem Fahrer hat, der sie rausholen sollte. Denn den hat sie auch nur einmal gesehen.

Sind Sie sauer auf den Auftraggeber?
Ja, ich finde es nicht in Ordnung. Also er hat mich nicht verraten. Er hatte auch ein Interesse, dass ich mit den Leuten wohlbehalten in den Westen komme. Aber er hat mir nicht die Wahrheit gesagt. Er hat mir Sachen erzählt, um die Dinge in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Ich hätte es vielleicht auch gemacht, wenn ich die Wahrheit gewusst hätte. Aber irgendwo war ich doch ein bisschen desillusioniert, als ich dann erfuhr, wie es sich tatsächlich verhalten hat. Der Auftraggeber hat auch vieles nicht eingehalten. Er hatte gesagt, dass er sich mit meinen Eltern in Verbindung setzt, wenn etwas schief geht. Das hat er auch nicht getan. Ich bin von ihm menschlich enttäuscht. Es ist auch eine Frage, wie viel Vertrauen man einem Menschen geben kann. Ich bin hier sehr vertrauensvoll gewesen, danach war ich das nicht mehr. Ich bin vorsichtiger und misstrauischer geworden.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Einen glücklichen Lebensabend.

 

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