Anna Luise Dorothea Jessen

(geb. am 28.05.1837 in Schleswig, gest. in Berlin-Schöneberg), Vorsitzende Berliner Verein für Volkserziehung

EINE BÜRGERLICHE »STADTMUTTER«
Von 1880 bis 1904 wohnte Luise Jessen, geborene Engel, in Kreuzberg…und schließlich in der Hedemannstraße16. Sie gehörte zu den Frauen aus dem Bürgertum,…die…als »Stadtmütter« – dies meinte die praktische Umsetzung der sozialpolitischen Ideen der bürgerlichen »Stadtväter« – prägen sollten. Anna Luise Dorothea Engel wurde am 28. Mai 1837 in Schleswig als Tochter des Regierungsstadtrates Arnhold Engel und seiner Ehefrau Auguste geborgen. Sie verbrachte ihre Kindheit als einziges Mädchen unter mehreren Brüdern in ihrer Geburtsstadt. Dann folgten für die Familie Jahre des Wohnortwechsels und auch der materiellen Not: Der Vater musste 1848 als Folge der Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Dänen die Stadt Schleswig verlassen, wurde Landrat in Pinneberg und dann Abgeordneter in der Nationalversammlung in Frankfurt am Main. Zurückgekehrt in den Norden, führte die Mutter ein Pensionat in Altona, der Vater unterrichtete und kämpfte um seine Pension. Und er förderte die Bildung seiner Tochter: »Mehr als den Schulen hat sie der Studierstube des Vaters zu danken«, hieß es nach ihrem Tode…
Bereits mit sechzehn Jahren verlobte sich Luise Engel mit Otto Jessen (1826-1904). Sie sollte mit ihrem Ehemann acht Kinder bekommen, drei starben früh. 1860 zog das Ehepaar nach Hamburg, Luise Jessen lernte dort die Frauenrechtlerin Emilie Wüstenfeld (1817-1874) kennen, die ihr Vorbild wurde. Im Jahre 1880 zog die Familie nach Berlin. Otto Jessen war Direktor der ersten Berliner Handwerkerschule geworden. Luise Jessen begann in der deutschen Hauptstadt ihre »soziale Karriere«. Ohne Scheu vor der Öffentlichkeit, mit Hilfe der entscheidenden Beziehungen und mit viel Kraft – und dem notwendigen Dienstpersonal im eigenen Haushalt – engagierte sie sich für ihre Ziele. Zum einen für die bessere Ausbildung von Mädchen und Frauen: So gehörte sie 1887 zu denjenigen Frauen, die mit Helene Lange für eine bessere Mädchenschulbildung stritten. Sie unterschrieb die berühmte Petition an das preußische Unterrichtsministerium, nach der Farbe des Umschlags »Gelbe Broschüre« genannt, und sie war Mitglied des Komitees der Gymnasialkurse von Helene Lange. Im Jahre 1895 unterzeichnete sie gemeinsam mit ihrem Ehemann den Aufruf zur Gründung der Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit in Berlin - dies war der Anfang der Ausbildung der Frau zum sozialen Beruf. Zu den Unterzeichnerinnen gehörten auch Lina Morgenstern, die Kreuzberger Lehrerin Marie Stoephasius und die Oberin des Krankenhauses im Friedrichshain Luise Fuhrmann. Die junge Alice Salomon folgte diesem Aufruf ebenfalls. Luise Jessen schloss sich 1882 dem Verein für häusliche Gesundheitspflege an und wurde ein Jahr später Mitglied des Komitees für die Ferienkolonien, dem sie bis zu ihrem Tode angehören sollte. Über zwanzig Jahre kümmerte sie sich um die Organisation der Ferienkolonien für Kinder: Leiterin und »Seele« des größten deutschen Vereins für Ferienkolonien. Mit 108 Schulkindern hatten Berliner Bürgerinnen und Bürger 1880 die Arbeit begonnen, im Jubiläumsjahr wurden über 4.000 Berliner Kinder in Ferienorte und Heilbäder geschickt. Ärzte untersuchten die Kinder vor der Abreise, Lehrer betreuten sie in den Ferienorten, es gab besondere Kolonien für blinde und geistig behinderte Kinder, zwei eigene Heime wurden gestiftet. Nicht alles ging gut, es mussten Orte gewechselt werden, es gab Unfälle. Und die gesamte Organisation lag in der Hand von Luise Jessen…1904 starb der Ehemann von Luise Jessen. Sie zog aus Kreuzberg nach Schöneberg in ein Haus des Berliner Vereins für Volkserziehung (Pestalozzi-Fröbel-Haus I), dessen Vorsitzende sie war. Noch einmal engagierte sie sich für die Berufsausbildung der Frauen, nun im Komitee für die Gründung einer Sozialen Frauenschule. Ein Jahr vor ihrem Tod, 1908, wurde Luise Jessen dann Mitglied im ersten Kuratorium der Sozialen Frauenschule von Alice Salomon in Berlin-Schöneberg. Sie starb am 18. Januar 1909.


Quellen
Dietlinde Peters, »…und keiner kriegt mich einfach krumm gebogen…«,