Ingeborg Charlotte Meysel

Inge Meysel
(geb. am 30.05.1910 in Rixdorf, gest. am 10.07.2014 in Hamburg), Künstlerin/Volksschauspielerin

EINE JUGEND IN DER KADINER STRASSE

Die Schauspielerin Inge Meysel, eigentlich Ingeborg Charlotte Meysel, wurde am 30. Mai 1910 in Rixdorf, heute Berlin-Neukölln, geboren. Ihr Vater war der jüdische Kaufmann Julius Meysel, ihre Mutter die christliche Dänin Margarete Hansen. Im Jahre 1914 zog die Familie in die Kadiner Straße 2 (damals noch Cadiner Straße). Es war eng: Noch als 14-Jährige sollte die Tochter auf dem Sofa schlafen müssen, der neunjährige Bruder im Schlafzimmer der Eltern. Die Verwandtschaft wohnte in der Nähe: Großmutter Regina Meysel, eine fromme Jüdin aus Breslau, war als Witwe mit drei Söhnen nach Berlin gekommen und hatte eine Blusenfabrikation aufgebaut. Sie lebte in der Grünberger Straße. Der christliche Großvater Peter Hansen, ein Kürschnermeister, besaß ein Pelzgeschäft in der Koppenstraße, über dem die Großeltern wohnten. Als er 1920 starb, zog die Großmutter Hansen zum Comeniusplatz und teilte sich diese Wohnung später mit der Großmutter Meysel. Weil die Familien sich nicht auf eine Religion einigen konnten, wurde Inge Meysel »freireligiös« erzogen.

Schon früh kam Inge Meysel mit der Bühne in Berührung. Mit drei Jahren spielte sie einen Engel, mit vier Jahren erhielt sie Unterricht in einer Ballettschule am Strausberger Platz. Am Sonnabend ging die Mutter mit ihr in die Märchenvorstellungen des Rose-Theaters… Während der Spartakus-Unruhen Anfang 1919 diente das Rose-Theater den Regierungstruppen als Zuflucht. Die Kämpfe gingen bis in die Kadiner Straße…

Inge Meysels Schule war die 233. Gemeindeschule in der Litauer Straße (ab 1995 Ludwig-Hoffmann-Grundschule in der Lasdener Straße 21-23), ein Backsteingebäude…

Die Hungerjahre Ende des Ersten Weltkrieges und Anfang der Weimarer Republik überstand die Familie Meysel mit Hilfe von Lebensmittelpaketen aus Dänemark und mit einer Berliner Besonderheit: mit der Milch aus einem Hinterhofkuhstall in der Litauer Straße (heutige Lasdener Straße) … Die erste Liebe, das letzte »Ereignis« in der Kadiner Straße, war der Sohn eines deutschnationalen Zahnarztes. Inge Meysel war 14 Jahre alt. Sie beendete die Beziehung aus »politischen Gründen«: Der 16-Jährige trug nach dem Tod des Reichspräsidenten Ebert das schwarz-weiß-rote Bändchen der Republikfeinde und wollte es nicht abnehmen.

In demselben Jahr, 1925, verließ die Familie den Bezirk Friedrichshain und zog in die Badenallee im Charlottenburger Westend. Inge Meysel spielte mit 16 Jahren die Hauptrolle im Schultheater, mit 17 Jahren verließ sie die Schule und nahm Schauspielunterricht bei Lucie Höflich. 1930 debütierte sie am Theater in Zwickau. Während der NS-Diktatur hatte Inge Meysel Auftrittsverbot und arbeitete als Telefonistin und technische Zeichnerin. Noch einmal führte der Weg zurück in den Bezirk Friedrichshain:

1936 ließen sich Inge Meysel und ihr Bruder auf Wunsch der Mutter in der Lazaruskirche taufen, um den Vater und sich selbst zu schützen. Nach dem Ende der Diktatur, 1945, ging Inge Meysel an das Thalia-Theater in Hamburg. Seit den 1960er Jahren spielte sie vor allem im Fernsehen und wurde eine von Deutschlands populären Volksschauspielerinnen. Sie war zweimal verheiratet…

Seit der Weimarer Republik engagierte sich Inge Meysel politisch – dies sicherlich auch eine Folge ihrer Jugend im Arbeiterviertel Friedrichshain. Sie war schon früh gegen die Todesstrafe und gegen den Paragrafen 218. In den 1970ern stritt sie für Willy Brandt und die SPD. Außerdem engagierte sie sich für die Frauenbewegung, im Kampf gegen Aids und zuletzt für ein „humanes Sterben“.

Am 10. Juli 2014 starb Inge Meysel in ihrem Haus am Stadtrand von Hamburg.


Quellen
Gekürzte Fassung aus: Dietlinde Peters, »…und keiner kriegt mich einfach krumm gebogen…«, herausgegeben vom Friedrichshain-Kreuzberg Museum, BERLIN STORY VERLAG 2014