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Franziska Vu

 

Herbert Pfaff

Geboren 1934 in Berlin. Herbert Pfaff war zweimal in Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Beim ersten Mal war er 20 Jahre alt. Während eines Besuchs im Ostberliner Bezirk Pankow fand der Westberliner einen Personalausweis der DDR. Diesen wollte er bei der Polizei abgeben. Auf dem Weg dorthin bekam er Schmerzen. Hilfsbereite Menschen brachten Pfaff ins Krankenhaus. Bei der Aufnahme im Krankenhaus wurden zwei Personalausweise in seiner Kleidung entdeckt.

Was wurde Ihnen vorgeworfen?
Nach einer längeren Zeit, die ich nicht einschätzen konnte, ging die Zellentür auf. „Kommen Sie!“ Ich bin auf die 112, ins Vernehmungszimmer gebracht worden. Mir wurde eröffnet, ich werde der Agenten- und Spionagetätigkeit verdächtigt; ein Verbrechen gegen den Weltfrieden eingeschlossen. „Es ist günstiger, Sie gestehen sofort, welcher Agenten- und Spionageorganisation Sie angehören.“ Immer wieder wurde die Frage gestellt: „Welcher Agenten- und Spionageorganisation gehören Sie an?“ Ich habe damals als Zwanzigjähriger Namen von so genannten Agentenorganisationen gehört, die ich gar nicht kannte.

Glauben Sie, dass der DDR-Ausweis bewusst auf dem Bürgersteig lag?
Die Stasi hat damals gelogen, die lügen heute noch. Der Besitzer des Ausweises ist natürlich vernommen worden. Darüber bin ich nicht informiert worden. Der Ausweisbesitzer hat behauptet, er könne sich an nichts erinnern. Er habe den Ausweis vorschriftsmäßig im Brustbeutel getragen und eigentlich nicht verlieren können. Ob er deshalb an einen Diebstahl denke, war die nächste Frage. Die Antwort war, der Ausweis könnte vielleicht eine Fälschung sein. In meinen Stasiakten habe ich später gelesen, dass der Ausweisbesitzer Hauptmann der Staatssicherheit aus Prenzlau war.

Haben Sie ihn nach der Wende getroffen?
Meine jetzige Frau stammt aus Prenzlau, und so habe ich nach 1992 ihre ganze Verwandtschaft verrückt gemacht. Zwei kannten ihn. Dann bin ich zu ihm hinmarschiert, habe gesagt wer ich bin, und dass ich ihm immerhin sieben Monate im U-Boot zu verdanken habe. Ich habe ihn gefragt, warum er damals den Verlust des Ausweises nicht zugegeben hat? Und wie hat er reagiert: „Ich kann mich an den Fall überhaupt nicht mehr erinnern.“

Was empfinden Sie für den Menschen?

Teilweise totale Verachtung! Auf der anderen Seite muss man so realistisch sein und bedenken, dass er wahrscheinlich selbst Angst hatte. Wenn er die Wahrheit gesagt hätte, hätte das unangenehme Folgen für ihn gehabt.

 

Welche Druckmittel wurden bei Ihnen angewendet?
Die ersten sechs Wochen wurde ich fast täglich und sogar nächtlich vernommen. Also Schlafentzug wurde voll und ganz durchgezogen, und tagsüber durfte ich nicht auf der Pritsche liegen, auch nicht nach nächtlichen Vernehmungen. Zur Genüge körperliche Misshandlungen, Backpfeifen, Lampe in die Fresse, Fußtritte in den Hintern. Für jedes „Nein“, das ich sagte, hat man mir in die Fresse gehauen oder den Stuhl unterm Hintern weggezogen. Dies werfe ich immer Herrn Siegfried Rataizik vor, dem ehemaligen Kommandanten von Hohenschönhausen. Er behauptet frech, es sei nicht geschlagen worden.
Die früher leitenden Stasi-Obristen kriegen keine Strafe; das ist ja alles verjährt. Das ist traurig. Die bekommen eine dicke Pension, fahren einen dicken Mercedes, haben eine dicke Fresse und träumen von ihrer Rehabilitierung. Das ist die Realität.

Was war für Sie im U-Boot am schlimmsten?
Das Alleinsein. Alle fünf Minuten ging die Klappe in der Zellentür auf, und dann hat so ein olles Schweineauge durchgeguckt. Ob es Tag oder Nacht war, diese ständige und totale Kontrolle. Dann sitzt man da allein und weiß nicht, was jetzt passiert. Es gehen einem die schlimmsten Sachen durch den Kopf. Von Kopfabschlagen bis Genickschuss oder irgendetwas.

Wie verarbeiten Sie die Erlebnisse?
Durch Führungen in der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Bei jeder Führung beschreibe ich das geschehene Unrecht und gebe es an die Besucher weiter. Damit so etwas nicht mehr passiert; zumindest nicht in Europa. Ich weiß natürlich, Unrecht geschieht noch in Chile, in China und auch in Staaten, die unbedingt Mitglied der EU werden wollen.

Was für gesundheitliche Folgen haben Sie davongetragen?
Die erste Zeit war natürlich furchtbar schlimm. Da bin ich nachts schweißgebadet aufgewacht, vom Bett gesprungen und habe automatisch mein Bett gemacht. Das war immer Vorschrift. Oder ich höre die lauten Geräusche, als wenn das Zellenschloss entriegelt wird. Heute, beim Verlassen der Gedenkstätte und beim Passieren des riesigen, eisernen Rollentors, wo ich niemals freiwillig durchgehen konnte, ist das alles, was hier drin war, für mich gestrichen.

Wie wurden Sie entlassen, und wie haben Sie sich dabei gefühlt?
Man hat mich früh morgens zum Vernehmer gebracht. Er setzte sich mit dem Hintern auf den Tisch und sagte: „Jetzt passen Sie mal auf, lange Rede kurzer Sinn. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat beschlossen, Sie wegen Ihrer absoluten Jugendlichkeit zu entlassen.“ Das war es. Ich musste eine Schweigeverpflichtung unterschreiben. Mir sind die Augen verbunden worden, und ich wurde etliche Male durch das Gebäude kreuz und quer geführt, bis es dann plötzlich hieß: „Bücken Sie sich, Sie sind im Auto.“ In dem Moment, da man verbundene Augen hat, kann man denen nicht ganz glauben. Dann habe ich mit verbundenen Augen im Auto gesessen. Neben mir saß jemand, auf der anderen Seite saß jemand, vorne saßen zwei Vögel und fahren und fahren und fahren. Dann hielt der Wagen, die beiden Stasi-Leute stiegen mit mir aus und unwillkürlich dachte ich:
Jetzt muss es gleich knallen, und du bist weg. Mir wurde aber die Augenbinde abgenommen. Ich war ganz benebelt, habe keine Umrisse mehr wahrgenommen, nichts. Dann sagte man mir: „Drehen Sie sich jetzt nicht um, wir fahren ab, Sie sind jetzt frei.“ Ich stand mitten im Wald. Keine Strasse, nichts. Ich wusste nicht, wo ich bin. Ist das hier vielleicht Moskau oder woanders, habe ich gedacht. Und dann die Angst, dass ein Mann hinter dem Baum steht. Ich bin nach vorn gelaufen, habe immer gehorcht, ob ich irgendwelche Geräusche höre, außer dem Vogelgezwitscher. Wieder gefunden habe ich mich in Köpenick im Wald, in der Nähe des Müggelsees.

Wie haben Ihre Eltern reagiert als Sie plötzlich wieder zu Hause waren?
Die Freude war natürlich groß. Dann kam die Frage: „Junge, wo kommst Du denn jetzt her?“ Meine Antwort: „Na ja, ich habe eine heiße Frau kennen gelernt. Sie heißt Hannelore.“ Ich hatte Angst, weil ich am Beispiel von Walter Linse gesehen hatte, dass diese Strolche selbst vor gewaltsamen Entführungen aus West-Berlin nicht zurückschrecken. Die Stasi hat mir gedroht: „Unser Arm reicht weit. Wir kriegen Dich überall, wenn Du die Schweigeverpflichtung brichst!“ Ich habe über drei Jahre meine Schnauze gehalten. Und als ich dann gesagt habe, wo ich war, da hat es mir keiner mehr geglaubt. Auch meine Familie nicht. Meine Mutter hat mir vorgehalten: „Mein Junge, Du warst doch irgendwo anders. Du bist nämlich anders geworden. Nachts wirst Du schweißgebadet wach und schreist.“ Und ich habe meiner Mutter geantwortet: „Ach, das ist doch Quatsch! Was Du Schreien nennst, ist Rufen nach der Hannelore.“

Was haben Sie nach der Entlassung gemacht?
Ich schwor mir: Das habt ihr nicht umsonst gemacht. Ich schloss mich Gruppen an, von denen ich mehr oder weniger wusste, dass sie gegen die DDR arbeiteten. Die Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit (KgU) zum Beispiel. Entscheidend war für mich der 13. August 1961. Bau der Schandmauer. Dann ging das los. Wir schossen von West-Berlin Luftballons, Raketen und Flugblätter nach Ostberlin. Doch das war mir alles zu wenig. Ich habe meinen Arbeitskollegen, dessen Frau und dessen zwei Kinder über die Grenze gebracht. Das sprach sich in Westberlin rum. Daraufhin kamen vier Wochen später zwei Herren von der politischen Polizei aus Westberlin. Sie fragten mich, ob ich an Fluchthilfe interessiert sei. Und so ist es dann gekommen. Ich sagte ja. Und ich wusste voll und ganz, was auf mich zukommt, wenn die mich am Arsch kriegen. Das hat mich keinesfalls abgehalten. Nicht im Geringsten. Auf Empfehlung habe ich dann beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Westberlin angefangen. Als DRK-Mitarbeiter war ich in den Passierscheinstellen in Westberlin eingesetzt. Mein angeheirateter Schwager – heute kann ich das ja sagen – war in der Bundesdruckerei beschäftigt. Dort wurden Personalausweise hergestellt. Und da kam die große Idee. Ich hatte bis zu 50 Personalausweise blanko in meiner Tasche. Diese wurden mit Bildern und Namen von denjenigen versehen, die ich aus der DDR herausgeholt habe. Die Ausweise wurden vorher auf eine Westberliner Adresse ausgestellt. Sonst hätte ich keine Passierscheine gekriegt. Die wurden sogar von einer Dienststelle als echt abgestempelt. Daraufhin habe ich Passierscheine beantragt. Ich habe diese auch bekommen. Es ist mir gelungen, 46 Menschen aus der DDR auszuschleusen.

Wie vollzog sich Ihre Inhaftierung?
Am 02. November 1964 schnappte die Falle am Bahnhof Friedrichstrasse zu. Als DRK-Angehöriger besaß ich einen Dauerpassierschein für Ostberlin. Ich konnte mich mit meiner Uniform im Osten frei bewegen. Am Grenzbahnhof Friedrichstraße musste ich stets durch einen besonderen Schalter gehen, der auch für die Ostberliner Eisenbahner, die im Westen arbeiteten, bestimmt war. Plötzlich stand da ein Mann vor mir: „Herr Pfaff, Ministerium für Staatssicherheit, kommen Sie mal mit zu einer kleinen Befragung.“ Mir ging sogleich der Gedanke durch den Kopf: „Na ja, dann landest Du wieder in dem ollen Keller.“

Wie konnte die Stasi Ihre Fluchthilfe beweisen?
Nach acht Monaten war mein Vernehmer schon recht siegessicher. Er knallte meine Anträge für die betreffenden Personen auf den Tisch: „Sehen Sie, diese Personen sind alle nicht mehr bei uns. Das Gutachten beweist Ihre Handschrift. Sie haben die Dinger alle selber ausgefüllt. Was wollen Sie noch leugnen.“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich dachte, die Banditen vernichten hinterher alles. Scheiße, in Hohenschönhausen wurden die Anträge gestapelt. Da konnte ich nichts mehr sagen.

Wie lange waren Sie inhaftiert?
Ich wurde am 17. Juni 1965 verurteilt, der in Westdeutschland als „Tag der Deutschen Einheit“ gefeiert wurde. Die Staatsanwältin sagte hämisch: „Schauen Sie ruhig aus dem Fenster, bei Ihnen ist heute Feiertag. Sie haben noch einen Feiertag, zwei Jahre und sechs Monate Zuchthaus.“ Bumm, dann war es geschehen. Ich erhielt „nur“ zwei Jahre und sechs Monate Haft, weil die Staatsanwältin der Ansicht war, die Hauptschuld liege beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Man hätte erkennen müssen, dass es sich um neue Ausweise handelte. Mit der Folge, dass keine Passierscheine mehr ausgestellt worden wären. Das war mein Glück. Doch ich musste die zweieinhalb Jahre bis zum letzten Tag absitzen.

Wie wurden Sie behandelt, im Vergleich zum U-Boot?
Es gab keine Backpfeifen, sie haben grundsätzlich betont: „Wir haben Zeit, wir haben Zeit.“ Die Verhöre waren „humaner“. Verglichen mit früher gab es keine körperlichen Misshandlungen. Doch Misshandlungen sind nicht nur physisch durch Gewalt möglich, sondern auch psychisch.

Welchen Misshandlungen waren Sie bei Ihrer zweiten Inhaftierung ausgesetzt?
Zwei Tage vor meiner Verurteilung musste ich zum Vernehmer. Der hat ganz „schonend“ gesagt: „Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen beibringen soll. Ihre Frau ist mit einem Kind tödlich in Westberlin verunglückt. Ich habe schon mit dem Genossen General über die Sache gesprochen.“ Meine ehemalige Frau und meine Tochter, die mich schon dreimal zum Opa gemacht hat, leben heute noch.

Wurden Sie verraten?
Ich ahnte damals nicht, dass es in Westberlin auch Stasi-Agenten gibt. Das waren die so genannten IMW, Informative Mitarbeiter West. Und erst aus meinen Stasiakten weiß ich: Mein Zugführer vom Roten Kreuz in Westberlin war Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi. Der lieferte mich ans Messer. Er hatte ausgesagt: Ein Mitarbeiter von mir beantragt am laufenden Band Passierscheine.

Haben Sie ihn später deswegen angesprochen?
Erst einmal war ich platt. Ich habe ihn sechs Wochen später aufgesucht. Die erste Frage, die er mir stellte: „Ach, Du weißt es jetzt?“ Er wurde erpresst. Seine Mutter war damals verstorben und hinterließ Barvermögen. Seine Schwester wohnte in Plauen. Er hatte sich mit seiner Schwester auf der Transitstrecke getroffen, um ihr den Erbanteil bar zu übergeben. Dabei wurde er fotografiert und gefilmt. In Dreilinden, bei der Einreise nach Westberlin, hat man ihn heraus gewunken und die Fotografien vorgelegt. Ihm wurde erklärt: „Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder verschwinden Sie für 10 Jahre in einem Hotel ohne Klinke, oder Sie bleiben beim Roten Kreuz. Dort haben wir noch keinen von uns ‚eingeklinkt’. Sie können der erste sein. Denken Sie an Ihre Schwester in Plauen. Wenn Sie nicht wollen, wie wir wollen, geht die auch in den Knast“. Dann hat er unterschrieben und war IM der Stasi.

Was empfinden Sie heute für ihn?
Es ist logisch, dass ich ihn nicht mehr sehen will. Auf der anderen Seite ist er auch ein armes Schwein. Ich weiß von anderen, die mit ihm Kontakt haben, dass er furchtbar darunter leidet. Aber ich bin in diesem Moment rigoros und sage, der leidet viel zu wenig.

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?
Ich und noch Zukunft? Ich bin 72 Jahre alt. Zumindest wünsche ich mir, dass die Stasiakten nicht wie vorgesehen zum Jahresende geschlossen werden. Die ganze Welt soll erfahren, was hier für ein diktatorisches, tyrannisches System geherrscht hat. Mit welchen Mitteln die Menschen in ihrer Persönlichkeit erpresst und verletzt wurden. Und ich bleibe hier in Hohenschönhausen, bis ich umfalle.

 

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