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Franziska Vu

 

Edda Schönherz

Geboren 1944 in Berlin. Sie war eine bekannte Moderatorin des DDR- Fernsehens. Ihre Meinungen standen oft im Widerspruch zu den politischen und gesellschaftlichen Auffassungen. Sie wollte ihren Beruf als Journalistin frei und unzensiert ausüben können. Sie erkundigte sich nach Ausreisemöglichkeiten aus der DDR und wurde daraufhin 1974 verhaftet. Erst zwei Jahre nach ihrer Freilassung durfte sie mit ihren zwei Kindern nach München ziehen, wo sie wieder eine Arbeit beim Fernsehen fand.

Warum wurden Sie inhaftiert?
Im August 1974 habe ich eine Urlaubsreise mit meinen zwei Kindern - Annette (12) und René (11) – nach Ungarn genutzt, um mich in einer westlichen Botschaft nach Ausreisemöglichkeiten zu erkundigen. In der DDR konnte ich das nicht riskieren, da wäre ich sofort weg gewesen. Ich habe das auch ein bisschen provoziert, weil ich mir gesagt habe: Honecker hat die Helsinkiverträge unterschrieben, jetzt müssen sie sich auch an einer Einhaltung der Menschenrechte messen lassen. Natürlich hatte ich immer im Hinterkopf, dass die DDR mir noch einige Knüppel in den Weg legen wird. Und so war es auch: Alle Botschaften wurden abgehört und fotografiert. Vorsichtshalber habe ich einige wenige Vertraute vor der Reise informiert, wie etwa meinem Verwandten im Bayerischen Landtag. Wenn irgendetwas passieren sollte, und ich verschwinde von der Bildfläche, dann weißt du wo ich bin. Ich habe so wenig Menschen wie möglich eingeweiht. Auch meine Kinder habe ich größtenteils herausgehalten. Im Dezember verurteilte man mich wegen „staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme“ und „Vorbereitung eines ungesetzlichen Grenzübertritts in besonders schwerem Fall.“

Können Sie Ihren Haftvorgang schildern?
Ich wurde schon in Ungarn festgenommen. Und in der DDR war die Stasi längst informiert. Obwohl mir die Ungaren gesagt haben: „Aus humanitären Gründen haben wir dem Staatsorgan der DDR nichts davon gesagt, Sie können beruhigt zurückreisen.“ Aber das war eine Farce. Als ich in Ost-Berlin ankam, war mir klar, dass wir unter ständiger Kontrolle waren. Zum Fernsehen zurückgegangen, hat man mir gesagt, mein vorgesehener Dienst wäre abgesagt worden. Eine Woche später standen morgens 12 Stasi-Mitarbeiter vor meinem Bett: „Kommen Sie mit zur Klärung eines Sachverhalts.“ Sie brachten mich nach Lichtenberg, in das Ministerium für Staatssicherheit. Ich kann mich noch genau an meinen ersten Vernehmer erinnern. Wegen seines Zynismus: „So Frau Schönherz, es gibt zwei Wege für Sie. Hinter Ihnen die Tür, wo Sie wieder raus können zu Ihren Kindern, oder die Tür da drüben, die weiter reinführt.“ Und da habe ich gesagt: „Passen Sie mal auf, Sie wissen genau, welche Tür für mich bestimmt ist. Und wenn ich schon hier drin bin und noch keinen Ausreiseantrag für mich und meine Kinder gestellt habe, dann mach ich das jetzt. Und nun können Sie mich fragen.“ Dann haben sie mich fast rund um die Uhr verhört, nach einer kurzen Nacht ging es weiter. Dann kam die Vorführung vor dem Haftrichter. Ich weiß gar nicht mehr, was er mir da vorgeworfen hat. Irgendwelche Sachen. Das war für mich alles nur eine Farce. Seitdem habe ich nur gedacht, hier musst du durch, und bring das so schnell wie möglich hinter dich. Ich wurde anschließend in den zentralen Stasi-Knast nach Hohenschönhausen gebracht. Aber das habe ich nicht gewusst. Von jetzt an wusste ich nie, wo ich war. Vom Stasi-Ministerium in der Normannenstraße sind die mit mir zweieinhalb bis drei Stunden durch die Gegend gefahren. Und wo können sie landen in drei Stunden? Das weiß man nicht!

Waren Ihre Kinder während der Festnahme im Haus?
Ja. Die Stasi hatte alles observiert und in das ganze Haus Abhörwanzen eingebaut. Sie wussten also genau, wann meine Kinder zur Schule gehen und so brauchten die auch nicht zu klingeln.

Hatten Sie damals einen Lebensgefährten?
Ich hatte einen Freund. Er war Regisseur beim Fernsehen. Er wurde auch inhaftiert. Wir saßen zusammen drei Jahre. Mein Lebensgefährte war auch in Ungarn, er wollte auch in den Westen.

Wurden Sie informiert, was mit Ihren Kindern geschieht?
Nein. Es waren gerade die Eltern meines Freundes zu Besuch, als wir verhaftet wurden. Sie haben sich um die Kinder gekümmert. Daher wusste ich, dass sie erst einmal betreut werden. Meine Kinder mussten nicht in ein Heim und wurden auch nicht zwangsadoptiert. Ich glaube, in meinem Fall hätte die Stasi aufgrund meines Bekanntheitsgrades dies nicht gewagt. Denn da kamen bald Anfragen der Presse: „Wo ist Edda Schönherz, Staransagerin des DDR-Fernsehens?“ Dann hieß es: „Die ist krank, die nimmt sich eine Auszeit.“ Allerdings erst nach einem halben Jahr, nachdem ich in den Frauenknast Hoheneck eingeliefert worden war, war ich hundertprozentig sicher, wo meine Kinder waren.

Was haben Sie gedacht, als Sie nach Hohenschönhausen gebracht wurden?
Man macht sich natürlich tausend Gedanken, die einen durch den Kopf gehen. Wo fahren die dich hin? Was wollen die von dir? Wie lange wird das dauern? Was ist mit den Kindern? Geht alles klar? Wissen die draußen Bescheid? Besorgen die dir einen Anwalt? Und, und, und.

Wie lange waren Sie inhaftiert?
Da ich prominent war, ist man an meine Kinder nicht rangegangen. Auf der anderen Seite diente ich als abschreckendes Beispiel. Ich habe volle drei Jahre absitzen müssen. Bis zum letzten Tag, was ja eher selten war. Viele wurden nach wenigen Monaten von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft und sind ausgereist. Mein Verwandter aus München hätte mich zwar freigekauft, aber die DDR hat mich nicht frei gelassen.

Wie oft wurden Sie verhört?
Das kann ich gar nicht mehr sagen, da gab es keine Regelmäßigkeit. Aber das war ja das Prinzip der Stasi. Man sollte sich den Tag nicht einteilen können. Man hat auch wochenlang in der Zelle gesessen, ohne dass sich etwas getan hat. Und glauben Sie mir, wenn Sie so lange allein in einer Zelle sitzen, dann sehnen Sie sich danach, wieder verhört zu werden. So komisch wie das klingt, aber diese Isolation macht Sie kaputt und fertig. Sie können nichts machen. Stehen und beschäftigen sich nur mit sich selbst.

Was für Druckmittel wurden bei Ihnen angewandt?
Die Stasi verstand sich auf das Prinzip der psychischen Folter. Das fing damit an, dass ich über nichts informiert wurde. Was ist mit meinen Kindern, wie lange dauert das Verfahren, wo befindet man sich überhaupt. Die unerträgliche Isolationsfolter. Und man wird gedemütigt. Ich musste mich nackt ausziehen. Da wird einem gezeigt, wer die Macht hat und wer ohnmächtig ist. Bei Vernehmungen gilt das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Einmal wird man beleidigt, dann wieder freundlich behandelt. Die Zersetzung der eigenen Persönlichkeit soll durch das gegenseitige Ausspielen der Menschen erreicht werden.
Da sagt der Vernehmer: „Ach, noch einen schönen Gruß von Ihrem Freund. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er sich von Ihnen getrennt hat. Er hat inzwischen eine andere Freundin gefunden. Das können Sie ihm nicht verübeln. Bedenken Sie mal, wie lange Sie hier schon drin sitzen.“ Da fangen Sie an zu grübeln. Ist das wahr, ist das nicht wahr. Sie können plötzlich nicht mehr klar unterscheiden und einordnen, weil Sie schon so lange isoliert sind. Der Einzige, den Sie sehen und mit dem Sie sprechen, ist Ihr Vernehmer. Alle anderen gibt es ja nicht mehr. Das hat mich krank gemacht. Ich bin fast durchgedreht.

Was war das Schlimmste für Sie?
Schwer zu sagen. Das Ausziehen vor einer Uniformierten, entblößt vor ihr zu stehen und dann noch seine Monatsartikel auf den Tisch packen zu müssen. Das war ein Schock. Und die untersucht das noch und nimmt das alles auseinander. Mit einem Handschuh werden dann noch alle Körperöffnungen untersucht. In dem Moment habe ich einen Schock bekommen. Doch das konnte ich nicht beeinflussen, das macht das Unterbewusstsein. Von dieser Minute an setzte meine Regel aus. Meine Periode kam erst einen Tag nach der Entlassung aus dem Gefängnis wieder. Nach etwa drei Jahren. Da hat sich mein Körper gewehrt, das war einfach zu viel. Ich habe das nach außen nicht gezeigt. Jetzt hat man natürlich gedacht, ich wäre schwanger. Und nichts ist uneleganter, als eine schwangere Edda Schönherz im Knast. Na, was machen wir denn da? In den Akten habe ich gelesen, dass man mir daraufhin Abtreibungspillen gegeben hatte – ohne mich zu fragen.

Wie haben Sie sich gefühlt?
Jeder Mensch kann nur bis zu einem gewissen Moment etwas ertragen. Dann schreitet das Unterbewusstsein ein. In dem Moment war mir klar, du kannst nichts machen, du bist denen völlig ausgeliefert. Du musst eine Mauer um dich herum bauen, um zu überleben. Das war mein einziges Ziel. Dann beginnt so ein Leben wie in einem Tunnel. Hinten im Tunnel sah ich ein Licht. Da wollte ich hin. Alles andere um mich herum, rechts und links von mir, habe ich versucht, an mir vorbei ziehen zu lassen.

Sprechen Sie mit Ihren Kindern über die Zeit?
Ich versuche mit ihnen darüber zu sprechen und habe sie auch zu einer Führung durch die Gedenkstätte mitgenommen. Aber vielleicht versuchen sie die Zeit ein wenig zu verdrängen, denn diese war sehr, sehr unschön für sie. Die Erinnerungen sind schlimm. Das kann ich verstehen. Ich schreibe ein Buch, das meinen Kindern gewidmet wird. Damit sie wissen was war.

Machen Ihnen Ihre Kinder Vorwürfe?
Nein. Sie sind glücklich, dass sie ein Leben unter besseren Bedingungen aufbauen konnten. Wobei ich immer das Gefühl habe - aber das mag nicht stimmen - dass da irgendwo ein Vorwurf ist. Das ist vielleicht ein schlechtes Gewissen, was ich mir selber einrede. Weil ich die drei Jahre nicht mehr auffangen kann.

Haben Sie Folgen davon getragen?
In der Haft hatte ich furchtbare Albträume: Meine beiden Kinder stehen am Abgrund. Ich sehe das, renne hin, um sie zu retten, greife zu und dann sind sie weg. Der zweite Traum: Ich komme ins Fernsehstudio und finde mein Studio nicht. Muss aber anfangen, denn die Sendung beginnt. Und ich rase durch die Gänge; vergebens. Noch heute verfolgt mich der Albtraum mit meinen Kindern. Ich sehe meine Kinder immer in dem Alter, in dem ich sie verlassen musste. Das ist offenbar eine fehlende Verarbeitung dieser Traumata.

Wie erging es Ihnen nach der Entlassung?
Nach der Haftentlassung musste ich noch zwei Jahre warten, ehe ich und meine Kinder in den Westen ausreisen konnten. In dieser Zeit arbeitete ich bei der Caritas als Fotografin. Eigentlich hatte man mir einen Arbeitsplatz als Hilfsarbeiterin in einer Großbäckerei zugewiesen. Das habe ich abgelehnt. Arbeit schändet nicht, habe ich gesagt, doch werde ich nicht mehr für diesen Staat tätig. Da haben die DDR-Behörden mir gedroht. Wenn ich nicht innerhalb von 4-6 Wochen eine Arbeit nachweisen könne, dann käme ich ins AE, d. h. Arbeitserziehung. Wieder 2-5 Jahre Zuchthaus, denn in der DDR gab es offiziell keine Arbeitslosen und keine Asozialen. Die saßen alle in den Zuchthäusern. Der Bischof der evangelischen Kirche hat sich dreimal verleugnen lassen, aber die katholische Kirche hat mir geholfen und mich an die Caritas vermittelt. Somit hatte ich wenigstens ein Auskommen für meine Kinder und mich. Wir konnten in unserem Haus bleiben.
Nachdem ich in die Bundesrepublik ausgereist bin, musste ich erst einmal wieder in meinem Beruf Fuß fassen. Ich wollte der Stasi beweisen, dass die mich nicht geschafft haben. Trotz allem. Natürlich haben mir meine Verwandten geholfen. Ich hatte mich bei fünf Sendern beworben. Vier hatten sofort geantwortet und wollten mich einstellen. Der Bayerische Rundfunk war der schnellste, ich wollte gern in München bleiben. Nach West-Berlin zog es mich nicht, denn die Mauer hätte ich vor meinen Augen nicht ertragen können. Da wäre ich wieder eingesperrt gewesen. Und München – so dachte ich - ist weit weg. Aber die Stasi hatte einen langen Arm, der reichte bis dorthin. In meinen Stasi-Unterlagen der Gauck-Behörde konnte ich erlesen, dass ich bis 1988 im Visier der Stasi war. 1992 wurde ein Produktionsleiter als Stasimitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk entlarvt.

Wie verarbeiten Sie die Erlebnisse?
Ich konnte über zwanzig Jahre nicht darüber reden, meine Kinder auch nicht. Die sind immer noch ein bisschen blockiert, aber irgendwann muss man das aufarbeiten. Das ist ganz wichtig. Denn diesen Abschnitt des Lebens kann man nicht unter den Tisch kehren. Aber viele ehemalige Häftlinge können diese Zeit nicht aufarbeiten, sind gesundheitlich gar nicht mehr in der Lage dazu. Manche sind so blockiert und können sich nicht öffnen bei diesem Thema. Ich selbst muss mich mit meiner Haft beschäftigen und auseinandersetzen. Und somit sind die von mir geleiteten Führungen durch die Gedenkstätte und das Buch, welches ich schreibe, gewissermaßen eine Aufarbeitung.

Was empfinden Sie für die Menschen, die Ihnen das angetan haben?
Was soll ich für sie empfinden? Ich habe überlegt, was die Vernehmer dazu gebracht hat, so eine Arbeit überhaupt zu übernehmen. Wenn jemand hundertprozentig von diesem Regime überzeugt war, dann sage ich: „Na ja, o.k.“ Aber wenn jemand das nur aus Profitgier, Karriere gemacht hatte, dann hat er jetzt Schwierigkeiten. Ich sage mir immer: „Die Menschen müssen morgens in den Spiegel gucken können.“ Viele sagen: „Ich kenne dich zwar nicht, aber ich wasche dich trotzdem.“ Dann haben sie ein Problem. Ich muss immer in den Spiegel gucken können und mich wieder erkennen. So ist meine Maxime des Lebens.

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?
Vor allem, dass ich gesund bleibe. Und dass meine Kinder gesund bleiben. Wir möchten in unserem Leben zufrieden in die Zukunft blicken können. Ich wünsche mir besonders, dass die schlimme Vergangenheit uns nie wieder einholt. Obwohl die Stasi-Genossen wieder ihre Köpfe herausstrecken und ihre Opfer verhöhnen wollen. Sie haben überhaupt nichts begriffen. Und ich hoffe, dass uns allen die Kraft gegeben ist, dagegen zu halten und zu sagen: „Hier und heute, jetzt nie mehr!“

 

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